Der Weg nach Hause

Konfuzius wirkte als Lehrer und unterrichtete gewählte Volksvertreter zu der Frage, wie das Land vernünftig geführt werden könnte. Ein Grundsatz war dabei: Sei streng zu dir selbst, aber mild zu anderen. Außerdem forderte er, dass diese sofort zurücktreten mussten, wenn das Volk unzufrieden war.

Auch bei in Gruppen lebenden Tieren haben bestimmte einzelne Tiere unverhältnismäßig großen Einfluss auf kollektive Entscheidungen, und die Leistungen der ganzen Gruppe können beeinträchtigt werden, wenn diese einzelnen Tiere über inkorrekte Informationen verfügen. Ob die Anführer in ihrer Rolle in derartigen Situationen durch besser informierte Gruppenmitglieder ausgetauscht werden können, ist eine wichtige Frage für das Verständnis der Auswirkungen von Anpassungen bei kollektiver Entscheidungsfindung.

Bei den Tauben kam ein Verfahren zur künstlichen Rhythmusverschiebung (mithilfe eines künstlich eingestellten Tag-Nacht-Rhythmus) zum Einsatz, um die Vorhersehbarkeit von Richtungsfehlern der Navigationsinformationen von etablierten Anführern innerhalb der Schwarmhierarchie von Posttauben (Columba livia) manipulieren zu können.

Die Verschiebung des Rhythmus sorgte für Konflikte zwischen dem Sonnenkompass – einem wichtigen Navigationssignal – und allen anderen Richtungshinweisen (z. B. visuelle, magnetische Informationen) in der Umgebung der Taube.

Experimentell und Führungsanalyse (a)
Freigabeprotokoll für acht experimentelle Schwärme. (b, c)

Quelle: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5046934/

Der Versuch zeigt, dass:

  • Anführer dann, wenn sie über inkorrekte Informationen verfügen, meistens ihren Einfluss auf den Schwarm verlieren. In diesen Fällen werden ungenaue Informationen durch die Umverteilung von hierarchischen Positionen gefiltert, wodurch verhindert wird, dass Fehler
    von früheren Anführern sich in der Hierarchie fortsetzen.

  • Ein flexibler Entscheidungsfindungsmechanismus in Situationen sinnvoll sein kann, in denen „schlechte“ Informationen von traditionell einflussreichen Einzeltieren eingeführt werden.

Theoretisch wurde vorhergesagt, dass sich bei der hierarchischen Entscheidungsfindung Fehler von Anführern nach unten fortsetzen, mit unpräzisen kollektiven Entscheidungen als Folge. Durch die Einführung unpräziser Navigationsinformationen einer bestimmten Größe oben in der Hierarchie wurde gezeigt, dass dieser Nachteil bei Taubenschwärmen überwunden werden konnte: Wenn nur Anführer schlecht informiert waren, behielten die Schwärme ihre vorhandene Route bei. In den Fällen allerdings, in denen ganze Schwärme (durch Verschiebung des Lichtrhythmus) irregeführt wurden, wählten diese abweichende Routen, sei es mit geringeren Abweichungen als vorhergesehen, wie es zudem bei Tauben, die mit der Landschaft vertraut sind, zu erwarten ist.

Wir können somit feststellen, dass die Irreführung durch das Verschieben des (Licht-)Rhythmus erfolgreich war, aber dass die Anführer alleine nicht in der Lage waren, ihre Schwärme auf falsche Routen „irrezuführen“.

Bemerkenswert ist auch das Absinken der Anführer auf eine niedrigere hierarchische Stufe: Bei einer Mehrheit der Schwärme nahm deren Einfluss auf die Navigationsentscheidungen ab, wenn nur ihr Lichtrhythmus verschoben wurde. Es wird angenommen, dass dort, wo ein Absinken der Führer auf eine niedrigere hierarchische Stufe wahrgenommen wurde, dies möglicherweise auf zwei einander nicht ausschließende Mechanismen zurückzuführen ist.

Erstens kann das Verschieben des Tag-/Nacht-Rhythmus dafür gesorgt haben, dass die Anführer unsicher über die Qualität der eigenen Informationen wurden. Die Verschiebung des Rhythmus sorgt für Konflikte zwischen dem Sonnenkompass – einem wichtigen Navigationssignal – und allen anderen Richtungsinformationen (z. B. visuelle, magnetische Informationen) in der Umgebung der Taube. Dieser Konflikt hat die Anführer möglicherweise dazu motiviert, ihren eigenen Informationen weniger und sozialen Informationen (d. h. Kopieren der Informationen von anderen Gruppenmitgliedern) mehr Bedeutung beizumessen. Die Unsicherheit hat möglicherweise zudem die Fluggeschwindigkeit des (rhythmus-verschobenen) Anführers reduziert. Da Geschwindigkeit bei Tauben stets mit Führung assoziiert wird, kann ein langsamerer Flug dazu führen, dass Tauben in der Hierarchie auf eine niedrigere Stufe absteigen.

Dieser Mechanismus erfordert keine Anerkennung durch die Nachfolger, dass ihr Anführer über inkorrekte Informationen verfügt. Alternativ können Schwarmmitglieder aktiv die Informationen schlechter Qualität „herausgefiltert“ haben, indem sie ihre Abhängigkeit von sozialen Informationen von Anführern reduzieren. Dies kann möglicherweise der Anerkennung des zugespitzten Konflikts zwischen der eigenen Richtungsentscheidung und der des Anführers oder aber dem Erkennen eines Hinweises (wie die reduzierte Geschwindigkeit), der auf die Unsicherheit des Anführers hindeutet, zugeschrieben werden. Der letztgenannte Mechanismus entspricht Nachfolgern, die sich dafür entscheiden, nicht zu folgen, während der erstgenannte Anführern entspricht, die sich dafür entscheiden, nicht die Führung zu übernehmen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können wir diese Alternativen nicht unterscheiden.

Diese Untersuchung zeigt, dass flexible Strukturen zur Entscheidungsfindung sinnvoll sein können, wenn stark fehlerhafte Informationen von einflussreichen Individuen eingeführt werden. Die Ergebnisse wirken sich sowohl auf theoretische als auch experimentell ermittelte Studien zur kollektiven Bewegung und Navigation aus.

Sie heben die Bedeutung der Informationsqualität und individuellen Sicherheit von Interaktionen der Tauben untereinander während eines Schwarmflugs hervor.

Der Verlust von im Schwarm fliegenden Tauben durch Navigationsfehler bei schwacher Führung wird von einer „Schwarmkompensation“ beeinflusst.

Die zahlreichen Theorien zu der Frage, wie sie navigieren, müssen jetzt anders betrachtet werden. Bei dem Ausdruck „Tauben sind dumm“ gilt Vorsicht, denn es handelt sich eigentlich um Lebenskünstler.

Wir erfahren, dass Tauben auch dann reagieren (langsamer fliegen), wenn sie sich in Bezug auf ihre Informationen unsicher sind. Sie fliegen vorsichtiger und langsamer, weil sie die Informationen mit unterschiedlichen Navigationstechniken überprüfen wollen. Dabei handeln sie ähnlich wie der Mensch, der sich bei Unsicherheit über die zu wählende Route auch langsamer fortbewegt. Bevor die Tauben am Ende eines Wettkampfflugs alleine nach Hause fliegen, zeigten sich häufig Aufteilungen des Schwarms, wobei jeweils ein neuer Anführer die Leitung übernahm, bis der Schwarm nur noch aus drei Tauben bestand. Bei diesen Aufteilungen übernahm stets eine Taube aus der Gruppe, deren Rhythmus nicht verschoben worden war (und damit über korrekte Informationen verfügte) als besserer Anführer die Leitung.

Diese Messungen können uns dabei helfen, sowohl die individuellen Nachzügler als auch traumatisierende Katastrophenflüge zu interpretieren.


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